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Jetzt wurde sie offiziell eingeweiht

Willkommen auf der
„Belleville-Promenade“

Der Moment der Enthüllung des Promenaden-Schildes: Stellvertretender Bürgermeister Dietrich Honervogt (rechts) in Aktion. Links neben ihm DAFK-Präsident Kurt-Heiner Sprenkamp. Reporter Jörn Hannemann war sogar auf eine Leiter geklettert, um mit seiner Kamera möglichst nahe an das Objekt der Feier zu rücken. Foto: Stüken

Der perlende Sekt, den sich die gut gelaunte Runde munden ließ, war halbtrocken, das Wetter zur Freude und Überraschung aller nach ausgesprochen feuchten Vortagen sogar völlig trocken. Mehr als 40 Amerikafreunde waren dabei, als Paderborns stellvertretender Bürgermeister Dietrich Honervogt, assistiert von DAFK-Präsident Kurt-Heiner Sprenkamp, mit einem hölzernen Stab die Stoffhülle von Paderborns jüngstem Straßenschild zogen: Prost Belleville-Promenade! Das war der Höhepunkt des diesjährigen Dogwood-Festes, dessen Termin wegen der Corona-Pandemie vom Frühling in den Sommer gerutscht war.

Mit dieser Promenade werde das transatlantische Bündnis zwischen Paderborn und Belleville „auch im öffentlichen Raum sichtbar“, schrieb das  Westfälische Volksblatt (WV). Außerdem werde damit die Verbundenheit „auch im offiziellen Straßenverzeichnis festgeschrieben“.

Der schöne Fußweg, der nach der schönen Partnerstadt benannt ist, verbindet die Paderhalle am Maspernplatz mit der Mühlenstraße und führt durch den Haxthausen-Garten im neu gestalteten Mittleren Paderquellgebiet. Dieses Areal zähle „zu den schönsten Orten der Stadt“, schwärmte das WV.

Dass er ein begeisterter Freund von Deutschlands kürzestem Fluss und zugleich ein ausgezeichneter Kenner der Pader ist, bewies Dietrich Honervogt vor der Enthüllung des Promenadenschildes bei einer ausgiebigen Führung für den Freundeskreis durch das Paderquellgebiet. Am Funktionsmodell der historischen Wasserkunst erklärte der Bürgermeister-Vize, schon Leonardo da Vinci (1452-1519) habe sich einst mit der Frage befasst, wie Wasser von einem tiefer gelegenen Ort zu einem höher gelegenen Punkt befördert werden kann. In Paderborn bestand die Kunst darin, Wasser der Börnepader durch eine hölzerne Leitung hinauf in den Kump des heutigen Liborius-Brunnens am Kamp zu pumpen. Angesichts der mehr als 200 Paderquellen bekannte Honervogt für die Paderborner: „Wir wohnen auf der Pader“. Wenn sie auch als Deutschlands kürzester Fluss bezeichnet werde – kein anderer deutscher Fluss könne für seinen Quellbereich eine Schüttung von „5000 bis 6000 Litern pro Sekunde“ vorweisen wie die Pader, stellte Honervogt heraus. 

Auftakt der Führung durch das Paderquellgebiet. Die Teilnehmer am Fuß einer Treppe zum Abdinghof. Foto: Stüken

Der Ausschuss für Bauen, Planen und Umwelt des Paderborner Rates hatte die vom DAFK angeregte Benennung einer Straße, eines Weges oder Platzes nach der US-Partnerstadt Belleville auf Vorschlag des Paderborner Heimatvereins am 20. August 2020 einstimmig beschlossen. Bereits einige Wochen später installierte das städtische Straßen- und Brückenbauamt die Schilder der neuen Promenade, einer viel frequentierten Fußwegverbindung zwischen Maspernplatz und Innenstadt. Nur eingeweiht werden konnte die „Belleville-Promenade“ bislang nicht, da die Corona-Pandemie lange keine größeren Menschenansammlungen erlaubte. Nun war es endlich so weit. Gern hätte der DAFK auch eine Delegation aus der Partnerstadt zur Einweihung der Promenade begrüßt. Das war wegen Corona nicht möglich.

Ein Dogwood-Strauch für den Haxthausen-Garten an der „Belleville-Promenade“. Kurt-Heiner Sprenkamp übergab den kleinen Hartriegel, der in Amerika Dogwood heißt und Namensgeber des jährlichen DAFK-Frühlingsfestes ist, als Geschenk an stellvertretenden Bürgermeister Dietrich Honervogt. Die diesjährige Blütezeit des Dogwood ist eigentlich vorüber. Aber die DAFK-Mitglieder Elsmarie Beck und ihr Ehemann Manfred (links) hatten im eigenen Garten noch zwei Blüten entdeckt und mitgebracht. Foto: Stüken

Schon als der DAFK im Herbst 2019 in einem Schreiben an den Heimatverein den Wunsch äußerte, eine Straße oder einen Weg der Innenstadt nach der US-Partnerstadt zu benennen, hatte der Vorstand den zwischen Paderhalle und Mühlenstraße gelegenen Haxthausen-Garten im Mittleren Paderquellgebiet im Blick. Denn von hier, dem Standort des ehemaligen Haxthausenhofes, könnte es eine historische Verbindung nach Belleville gegeben haben. Das war seinerzeit allerdings nur eine Vermutung. Der aus Frankfurt am Main stammende und nach Belleville geflüchtete berühmte Deutschamerikaner Gustav Körner (1809-1896), schrieb in seinen Lebenserinnerungen von den „aus Westfalen“ stammenden Auswanderern Hermann und Heinrich von Haxthausen, die in den 1830er Jahren – wie er selbst zunächst auch – in der Siedlung „lateinischer Bauern“ wenige Meilen östlich von Belleville ansässig geworden waren.

„Lateinische Bauern“? Das waren deutsche Emigranten, die an hiesigen Unis studiert und sich als Mediziner oder Juristen meist aus politischen Gründen entschlossen hatten, auszuwandern und ihr Glück als Farmer in der „Neuen Welt“ zu suchen.

Rechtzeitig zur Einweihung der „Belleville-Promenade“ hat der Paderborner Historiker Dr. Rainer Decker die Geschichte des Paderborner Haxthausenhofes und seiner Bewohner erforscht und darüber in der Osterausgabe (Heft Nr. 189/2021) der Heimatzeitschrift „Die Warte“ berichtet.

Die beiden Amerika-Auswanderer Heinrich (1801-184) und Hermann (1807-1864) von Haxthausen, beide gelernte Juristen, so fand der auch genealogisch versierte Decker heraus, sind tatsächlich 1835 von diesem Paderborner Hof – Hermann wurde auch hier geboren – nach Amerika aufgebrochen. Sie nahmen vermutlich von Paderborn auch mehrere Bedienstete mit. Heinrich und Hermann von Haxthausen dürften damit zu den ersten Emigranten zählen, die in der Nähe der heutigen Partnerstadt ansässig wurden. Die Neue Westfälische (NW) nannte die „Belleville-Promenade“ daher eine „Erinnerung an die ersten Auswanderer“.

Heinrich und Hermann von Haxthausen hielt es allerdings nicht für längere Zeit in Illinois. Sie hatten nicht die Kraft und Ausdauer, in der Prärie eine Farm aufzubauen und zu betreiben. Die adligen Herren waren zwar hoch gebildet, aber völlig unpraktisch veranlagt. Es mangelte ihnen auch an wirtschaftlichem Sachverstand. Sie verzettelten sich schließlich, als sie gleichzeitig auch noch eine Sägemühle und eine Brennerei betreiben wollten. Hermann von Haxthausen kehrte 1843 oder Anfang 1844 nach Paderborn zurück, wo er ab Februar 1844 sein Referendariat am damaligen Oberlandesgericht fortsetzen konnte. Sein älterer Bruder Heinrich veräußerte  Ende der 1830er Jahre seine Farm an seinen Knecht, weil der Lohn, dem er diesem schuldete, fast den Kaufwert der Farm erreichte. Heinrich zog nach St. Louis, wo er eine Gastwirtschaft eröffnete und 1840 eine Frau aus dem Hannoverschen heiratete. Die Ehe scheiterte. Nach der Trennung kehrte auch Heinrich 1845 nach Paderborn zurück. Er starb im Dezember 1846 auf dem Haxthausenhof. 

Ein früher Belleville-Besucher: Franz Löher (1818-1892) besuchte als Reiseschriftsteller 1846/1847 die heutige Partnerstadt. Auch in der Nähe bei den „lateinischen Bauern“ sah er sich um. Er nannte sie „Gentlemen Farmer“. Foto: Archiv Stüken

Zu diesem Zeitpunkt befand sich der 1818 im Schildern geborene Fleischersohn Franz Löher, ebenfalls angehender Jurist, seit wenigen Monaten in den USA, um hier als junger Reiseschriftsteller 1846 und 1847 Ansiedlungen deutscher Einwanderer zu erkunden. Löher schrieb damals über den Bundesstaat Illinois: „Der von Deutschen am meisten bevölkerte Bezirk ist der von St. Clair mit der Hauptstadt Belleville, in welcher deutsches Leben einen schönen Mittelpunkt gefunden hat.“ Nachdem Löher im Juli 1947 die Arbeit an diesem Buch abgeschlossen hatte, durchstreifte er ein weiteres Mal drei Monate lang die Vereinigten Staaten und kam erneut in die „schöne Stadt“ im Süden von Illinois, die nach frühen französischen Siedlern benannt ist. „Diese lebhafte und freundliche Stadt ist vorzugsweise von gebildeten Deutschen bewohnt und bietet unsern Landsleuten mehr Annehmlichkeiten, als irgend eine ähnliche Stadt in Amerika“, schrieb Löher über die Stadt, nach der nun, fast 175 Jahre später, eine Promenade benannt wurde.

Vor diesem zweiten Belleville-Besuch stattete Franz Löher auch den „Lateinischen Bauern“ im Tal von Shiloh einen Besuch ab. Es fünf bis acht Meilen östlich von Belleville. Löher nannte diese Auswanderer „Gentleman Farmer“. Er schrieb über sie einen Beitrag seiner Reiseskizzen „Land und Leute in der alten und neuen Welt“, die 1855 in Göttingen und New York erschienen.

Bereits 1837 war über die Siedlung der „Lateinischen Bauern“ ein längerer Artikel in der in St. Louis herausgegebenen, aber in Heidelberg gedruckten Zeitschrift „Das Westland“ erschienen. Auf der im „Westland“ angefügten „Plankarte der Deutschen Niederlassung im St. Clair Bezirk in Illinois, östlich von Belleville“ ist eine Farm mit dem deutschen Namen „Haxthausen“ verzeichnet. Löher schreibt in einem Bericht über die „Gentlemen Farmer“ von der „Farm eines mir schon von Deutschland her bekannten Barons“. Gemeint war zweifellos Heinrich von Haxthausen, der inzwischen als Rückkehrer zum Haxthausenhof in Paderborn gestorben war. Dessen Namen nannte Löher nicht, auch nicht den gemeinsamen Herkunftsort Paderborn. Aber in der Siedlung der Latin Farmer sorgte Heinrich von Haxthausen auch 1847 immer noch für Gesprächsstoff. Nicht nur wenigen seines wirtschaftlichen Misserfolges. Er muss ein ausgesprochen kurzsichtiger Mensch gewesen sein. Als er auf die Jagd ging, erlegte er die im Wald stehende Kuh eines Nachbarn, die er für ein stattliches Stück Wild hielt. Auf diese Weise verlor auch ein zahmer Truthahn sein Leben, der auf dem Gartenzaun eines anderen Nachbarn hockte.

Rainer Decker fand heraus, dass die Haxthausen-Brüder sich einer Auswanderergruppe aus dem Hochstift anschlossen, die der aus Lichtenau stammende preußische Kantonsbeamte Nikolaus Hesse (1794-1868) um sich geschart hatte. Im Frühjahr 1835 begann in Beverungen die Fahrt der Auswanderer nach Bremen mit einem ziemlich maroden Weserschiff. Die Gruppe zählte an die 90 Personen – alle aus dem Bereich des Hochstiftes. Die Zahl verdeutlicht, wie groß damals der Drang war, in Amerika ein neues, besseres Leben zu suchen. Und diese Auswanderung zeigt, wie gefährlich die große Reise werden konnte. Schon in Höxter hätte der Weserkahn um Haaresbreite einen Pfeiler der Weserbrücke gerammt. Dies lag vor allem daran, dass der Kapitän ständig unter Alkohol stand. Am 21. Mai begann in Bremen die Überfahrt mit dem Dreimastsegler „Jefferson“. Der erreichte mit 160 Passagieren nach 45 Reisetagen am 4. Juli Baltimore. Die Gruppe von Nikolaus Hesse teilte sich. Etwa 40 Personen, darunter die Familienmitglieder Hesses und die Haxthausen-Brüder, erreichten am 9. August über den Ohio und den Mississippi St. Louis (Missouri).

In Briefen von Auswanderern, die mit der „Jefferson“ nach Amerika reisten und auf die Rainer Decker gestoßen ist, ist auch von den Brüdern Haxthausen die Rede. Hermann von Haxthausen wird als gutmütig, friedliebend und hilfsbereit beschrieben, der ältere Bruder Heinrich dagegen als bizarre Persönlichkeit, die es liebte, sich und andere unglücklich zu machen. Decker sagt, heute würde man bei Heinrich von Haxthausen von völlig fehlender Teamfähigkeit sprechen. Und ein Geizhals war er auch. Er nervte die Mitreisenden zum Beispiel mit ständigem Jammern über die Höhe des Reisepreises.

Schöner Zufall: Während der DAFK in Paderborn die „Belleville Promenade“ einweihte, ist in Ilinois die Historische Gesellschaft des Kreises St. Clair, die ihren Sitz in Belleville hat, dabei im kleineren Nachbarort Shiloh eine Erinnerungstafel für und an die „Latin Farmer“ aufzustellen. Mit einer großen Abbildung jenes Planes von 1837, auf dem auch der Name Haxthausen zu sehen ist. Dieses „Latin Famers Historical Sign“ sollte eigentlich schon am 19. Juni in einem neu angelegten kleinen Park seiner Bestimmung übergeben werden. Doch der Termin ist verschoben worden, weil die Parkanlage nicht rechtzeitig fertig geworden ist. Der Ort Shiloh liegt auf dem Gebiet des einstigen Settlements der deutschen Farmer.

• Über die Siedlung der „Lateinischen Farmer“ ist auch ein ausführlicher Beitrag im dritten Band  DAFK-Buchreihe „Auf nach Amerika!“ zu lesen (Herausgeber: Bernd Boer, Otmar Allendorf, Heinz Marxkors und Wolfgang Stüken). Er trägt den Titel: „Ein merkwürdig Stück deutsches Leben“.

• Über die Geschichte des Haxthausenhofes informiert auch eine bebilderte Pulttafel des Paderborner Verkehrsvereins, die an der Belleville-Promenade nahe am Zugang von der  Mühlenstraße steht. Sie ist auch auf der Internetseite www.zeitreise-paderborn.de zu finden. Wolfgang Stüken