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Wilton D. Gregory:

Bellevilles früherer Bischof hält
Einzug ins Kardinalskollegium

Er soll der erste afroamerikanische Kardinal der Vereinigten Staaten werden: Papst Franziskus hat Wilton D. Gregory (72) nominiert. Foto: Erzdiözese Atlanta

Freude unter Katholiken im Hauptstadt-Erzbistum der USA, Glückwünsche aus Paderborns Partnerstadt Belleville (Illinois) und zufriedene Gesichter im großen Chicago und in dem kleinen Ort Mundelein (ebenfalls Illinois): Papst Franziskus wird am 28. November, dem Vortag des 1. Advent, den Washingtoner Erzbischof Wilton Daniel Gregory gemeinsam mit 12 weiteren Geistlichen aus der Weltkirche in einer feierlichen Zeremonie (Konsistorium) in das Kardinalskollegium aufnehmen. Gregory war von 1994 bis 2003 Bischof von Belleville. Mehrere Besuchergruppen aus Paderborn haben ihn während seiner Amtszeit in der Partnerstadt erlebt.

Gregory stammt aus Chicago. Wenige Tage nach dem feierlichen Konsistorium in Rom vollendet er am 7. Dezember sein 73. Lebensjahr. Gregory ist der erste afroamerikanische Kardinal der USA. Bis zur Vollendung des 80. Lebensjahres ist Gregory als Kardinal berechtigt, nach dem Tod oder einem Rücktritt von Papst Franziskus (83) an der Wahl des  Nachfolgers mitzuwirken.

Zuletzt hatte Gregory seine ehemalige Wirkungsstätte Belleville am 22. Juli dieses Jahres besucht. Als einer von 20 Gastbischöfen nahm er an der Bischofsweihe und Amtseinführung des neuen Belleviller Bischofs Michael George McGovern (56) teil. In der Kathedrale St. Peter galten für die Teilnehmer am Festgottesdienst Corona-Beschränkungen. Das Bistum Belleville, das sich über die 28 Kreise des südlichen Illinois erstreckt, zählt rund 120.000 Katholiken in 108  Pfarreien. Am Tage der Bekanntgabe der Kardinalsernennung durch den Papst (25. Oktober) zählte McGovern zu den ersten Gratulanten und übermittelte Gregory im Namen der Priester und Gläubigen, die Gregory in großer Zuneigung verbunden seien, die Glückwünsche des Bistums Belleville. Belleville’s neuer Oberhirte sprach von einer „wunderbaren Nachricht“ aus Rom. 

Der 1947 geborene Gregory wuchs mit zwei Schwestern in der armen South Side von Chicago auf. Die Mutter war Sängerin, der Vater  verdiente sein Geld in der elektronischen Datenverarbeitung, die noch in den Kinderschuhen steckte. Die Eltern, die sich nach ein paar Jahren trennten, waren nicht religiös. Aber sie hatten früh den Sinn ihrer Kinder für soziale Gerechtigkeit geschärft. Eine Großmutter übernahm die Erziehung. Als elfjähriger Schüler einer Pfarrschule trat Wilton D. Gregory in die katholische Kirche ein. Bald reifte in ihm der Wunsch, Priester zu werden. Seine Ausbildung zum Priester führte ihn unter anderem nach Mundelein an die University of St. Mary of the Lake und in das dortige Mundelein-Seminary. Hier, rund eine Autostunde von Chicago entfernt, lassen heute mehr als 30 amerikanische und außeramerikanische Diözesen ihre Priester ausbilden. Der Name des Ortes und des Seminars geht auf den Chicagoer Erzbischof George William Mundelein (1872-1939) zurück. Er war der in New York geborene Enkel eines Amerika-Auswanderers der Paderborner Familie Mündelein. Aus dieser Familie ging auch der westfälische Kirchenbaumeister Franz Mündelein (1857-1926) hervor.

1998 in der Bischofskirche der Partnerstadt: Wilton D. Gregory begrüßt eine Gruppe von Besuchern aus Paderborn mit ihren Gastgebern der Partnerorganisation Belleville Sister Cities (BSC). Foto: Stüken

Belleville’s Städtefreundschaft mit Paderborn begleitete Wilton D. Gregory mit großem Wohlwollen. 1996 und 1998 hieß er mit herzlichen Worten Besuchergruppen aus der deutschen Sister City in der Kathedrale St. Peter willkommen, darunter 1998 auch den damaligen Bürgermeister Wilhelm Lüke. 2002 empfing er auch dessen Nachfolger Bürgermeister Heinz Paus, als dieser eine Reise nach Belleville unternahm.

März 1996: Der damalige DAFK-Präsident Bernd Broer überreicht dem Belleviller Bischof ein Plakat zum Papstbesuch in Paderborn, der im Juni 1996 bevorstand. Links Freundeskreis-Geschäftsführer Dr. Otmar Allendorf, rechts der 1996/97 amtierende BSC-Präsident Richard Berkel. Foto: Archiv Allendorf

Während seiner Bischofsjahre in Belleville wurde Gregory von 2001 bis 2004 als erster schwarzer Bischof an die Spitze der US-amerikanischen Bischofskonferenz gewählt. Schon drei Jahre zuvor hatte er – ebenfalls von Belleville aus – das Amt des Vizepräsidenten dieser Konferenz übernommen. In diesen Jahren unternahm er wichtige Schritte im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch in der Kirche. Auch in seinem Bistum Belleville wurden eine Reihe von Missbrauchsfällen aufgedeckt. In der Bischofskonferenz entwickelte sich Gregory angesichts der häufig schleppenden Aufarbeitung solcher Fälle zur treibenden Kraft für den Erlass strenger Normen der kirchenrechtlichen Bestrafung von Priestern, die zu Tätern geworden waren, und der Präventionsarbeit zum Schutz Minderjähriger. Die „Charter for the Protection of Children und Young People“, die von Gregory mitformuliert und 2002 vom Vatikan anerkannt wurde, dient anderen Bischofskonferenzen bis heute als Vorbild.

Der  Terminkalender des viel gefragten und geforderten Bischofs machte einen Strich durch Überlegungen, eine schriftlich übermittelte Einladung des früheren Paderborner Erzbischofs Johannes Joachim Degenhardt zum Liborifest 1999 oder 2000 nach Paderborn anzunehmen.

Nach seiner Priesterweihe 1973 und der anschließenden Fortsetzung seiner theologischen Studien im Rom, die er mit einem Doktortitel abschloss, war Gregory im Erzbistum Chicago als Seelsorger zweier Gemeinden tätig. Er kehrte als Dozent für systematische Theologie an die Universität St. Mary of the Lake in Mundelein zurück (1977-1984)  und wurde 1983 zum Weihbischof von Chicago ernannt. Wiederum ein Jahrzehnt später erfolgte durch Papst Johannes Paul II. seine Ernennung zum Bischof von Belleville. 1995 war in der Paderborner Partnerstadt die Amtseinführung. Anfang 2005 – wieder war ein Jahrzehnt vergangen – wechselte er als Erzbischof in die mit rund einer Million Katholiken erheblich größere Erzdiözese Atlanta im US-Bundesstaat Georgia.

Mit seinen Positionen zur Abtreibungsproblematik, zur Todesstrafe und zu Fragen von Armut und Umwelt lag Gregory nicht auf der Linie von Papst Johannes Paul II. Daher wurde seine Versetzung nach Atlanta von manchen Insidern der Kirche als eine Art „Verbannung ins Exil“ (Domradio Köln) betrachtet.

Als in Deutschland der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst wegen der explodierenden Baukosten seines Bischofshauses im Herbst 2013 seinen Amtsverzicht erklärte, ging diese Nachricht um die Welt. US-Medien warfen 2014 die Frage auf, welchen Wohn-Luxus sich denn US-amerikanische Bischöfe leisten. Und der Erzbischof von Atlanta geriet in den Blick. Wilton D. Gregory hatte erst wenige Monate zuvor eine im Tudor-Revival-Stil errichtete neue, 2,2 Millionen teure Bischofsresidenz bezogen. Sein Erzbistum hatte das Gebäude auf einem Grundstück errichten lassen, das Joseph Mitchell, ein 2011 verstorbener Neffe der Autorin des Südstaaten-Epos „Vom Winde verweht“ (1936), Margaret Mitchell, der Kirche vermacht hatte. Die kurze, heftige Diskussion um die bischöflichen Wohnverhältnisse, die in Atlanta losbrach, war rasch vom Winde verweht; denn Wilton D. Gregory entschuldigte sich öffentlich, ließ den Neubau mit seinen ausgedehnten Empfangs- und Sitzungsräumen verkaufen und zog in eine erheblich bescheidenere Stadtwohnung um. Die Welt und die Kirche hätten sich verändert, räumte er angesichts des Armut predigenden Papstes einen Fehler ein.

Seiner weiteren bischöflichen Karriere tat das langfristig keinen Abbruch. Als Papst Franziskus Gregory im Frühjahr 2019 zum Erzbischof von Washington (650.000 Katholiken) ernannte, hieß es in Medienberichten, das Kirchenoberhaupt habe „einen Vertrauten mit Durchsetzungsvermögen“ und einen „Hoffnungsträger“ der Kirche der Vereinigten Staaten in der US-Hauptstadt installiert. Und einen „profilierten Kämpfer“ gegen sexuellen Missbrauch. Seinem Amtsvorgänger Kardinal Donald Wuerl wurden Vertuschungen in dessen Zeit als Bischof von Pittsburgh (Pennsylvania) und Schweigen zu sexuellen Vergehen seines Vorgängers in Washington, Theodor McCarrick, vorgeworfen.

In der Kapelle des Mundelein-Seminars, in der Kardinal Mundelein bestattet ist, feierte Erzbischof Gregory (damals noch Atlanta) im Januar 2019 mit Teilnehmern von Besinnerungstagen für Priester eine heilige Messe. Das konnten die beiden Männer am Altar damals nicht ahnen: Der hinter Gregory stehende italienische Kapuzinerpater Raniero Cantalamessa, der diese Besinnungstage leitete, wird wie Gregory ebenfalls am 28. November in das Kardinalskollegium aufgenommen. Cantalamessa (86), der mit seinem weißen Bart ein wenig dem deutschen Benediktiner und christlichen Erfolgsautor Anselm Grün ähnlich sieht, ist Theologieprofessor und Autor zahlreicher christlicher Bücher und TV-Sendungen, und fungiert seit Jahrzehnten als „Prediger des päpstlichen Haushaltes“. Immer im Advent oder in der Fastenzeit hält er im Vatikan vor dem Papst, dessen Personal und Gästen einen Herz und Verstand berührenden theologischen Vortrag. Foto: University of St. Mary of the Lake

Unter streng konservativen Katholiken ist Washington’s neuer Erzbischof, der wie sein zwei Jahre jüngerer Chicagoer Bischofskollege Kardinal Blase Joseph Cupich als progressiver und liberaler Gefolgsmann des Papstes gilt,  wegen seiner Haltung zu Abtreibung und Homosexualität allerdings nicht unumstritten.

Schon bei seiner Ernennung zum Washingtoner Erzbischof 2019 wurde Gregory von der einflussreichen Washington Post mit dem ehemaligen US-Vizepräsidenten und Ex-Senator von Delaware, Joe Biden, dem am 3. November 2020  zum neuen US-Präsidenten gewählten Katholiken verglichen – allgemein beliebt und aufgeschlossen gegenüber Minderheiten in seiner Kirche.

Mit Bidens umstrittenem und abgewähltem Amtsvorgänger Donald Trump hatte Gregory nichts am Hut. Am Tag nach Trumps spektakulärem „Bibelauftritt“ vor einer anglikanischen Kirche in der Nähe des Weißen Hauses am 1. Juni – den Weg dorthin ließ sich der „defekte Messias“ (Die Zeit) durch Sicherheitskräfte nach gewaltsamer Vertreibung friedlicher „Black-Lives-Matter“-Demonstranten bahnen –, stattete der Wahlkämpfer, auf Stimmen katholischer Wähler und christlicher Nationalisten abzielend, mit „First Lady“ Melania einer mehr als drei Meter hohen Bronzestatue des 2014 heilig gesprochenen Papstes Johannes Paul II. an der Washingtoner Harewood Road einen Besuch ab, um dort einen Kranz anzubringen. Die Statue steht vor einer modernen, kirchenähnlichen Gedenk-, Gebets- und Wallfahrtsstätte (Saint John Paul II National Shrine), in der – ähnlich wie seit 2017 im Paderborner Dom – eine Blutreliquie des 2005 verstorbenen Papstes aufbewahrt wird.

Der Shrine wird von den Kolumbusrittern (Knights of Columbus), einer der größten römisch-katholischen Laienvereinigungen für Männer, betrieben. Innerkirchlich gelten diese Ritter als „Rechtsaußen“. Das Wahlkampteam Trumps hatte neben Medienvertretern auch Washingtons Erzbischof Gregory zu dem Termin am Papst-Denkmal eingeladen. Gregory sagte jedoch wegen anderer Terminverplichtungen ab.

Einen Tag nach dem spektakulären Posieren  des Präsidenten mit der Bibel gab es für Gregory keinerlei Zweifel, welche Absicht Trump an der Johannes-Paul-II-Statue verfolgte.  In einem vom Erzbistum Washington am 2. Juni verbreiteten Statement bezeichnete Gregory es als „verwirrend und verwerflich“, dass eine katholische Einrichtung (der von den Kolumbusrittern betriebene Shrine) es zulasse, auf so „ungeheuerliche Weise missbraucht und manipuliert zu werden“.  Papst Johannes Paul II. sei ein leidenschaftlicher Streiter für Menschenwürde gewesen, erklärte Gregory. Er hätte es gewiss abgelehnt, Tränengas gegen Demonstranten einzusetzen, um Trump damit einen Fototermin vor einer Kirche zu ermöglichen, spielte der Erzbischof dessen Kurzbesuch an der Saint John’s Episcopal Kirche am Tag zuvor an. Ein Sprecher des Weißen Hauses konterte, es sei „schändlich“, dass der Erzbischof von Washington  ,,den tiefen Glauben und die Motive des Präsidenten infrage stellt“.

https://www.nbcnews.com/video/watch-trump-first-lady-visit-st-john-paul-ii-national-shrine-in-d-c-84241477544

„Die Berufung des ehemaligen Vorsitzenden der US-Bischofskonferenz ins Kardinalskollegium, das den nächsten Papst wählt, mag als Wink an die US-Katholiken verstanden werden, ihre Entscheidung am 3. November gut zu überdenken. Mit der Nominierung des ersten schwarzen Kardinals in der US-Geschichte gibt Franziskus jedenfalls klar zu erkennen, wo er steht,“ kommentierten die Stuttgarter Nachrichten die eine Woche vor der Präsidentschaftswahl bekannt gegebene Nominierung Gregory’s zum Kardinal durch den Papst. Für das Kölner Domradio war klar: „Der Papst setzt ein Zeichen über den US-Wahlkampf hinaus.“

Das Internet-Portal Vatican-News über den designierten neuen Kardinal: „Der in Chicago geborene Afroamerikaner gilt als Mann der leisen Töne, der ebenso überzeugungsstark wie integrativ ist.“ Wolfgang Stüken