Zu Besuch im kleinen Paderborn im Süden des US-Bundesstaates Illinois
Von Wolfgang Stüken (14.10.2007)
Paderborn. Die kleinen Alleskönner machen Fotos, verwalten Termine, senden und empfangen elektronische Briefe. Wegen der schrillen Klingeltöne, die sie in allen nur denkbaren Tonarten hervorbringen können, sind Mobiltelefone in den Ohren mancher Menschen allerdings echte Plagegeister. Doch der Tonspeicher eines modernen Handys kann sich auch als sehr nützlich erweisen. Zum Beispiel, um den Libori-Tusch mit auf eine große Reise zu nehmen.
Paderborns Landrat Manfred Müller (46), der ein paar Urlaubstage nutzt, um eine Delegation des Deutsch-Amerikanischen Freundeskreises Paderborn in die USA zu begleiten, ist in St.Michael, der kleinen Kirche des kleinen Ortes Paderborn nahe der Paderborner Partnerstadt Belleville, beeindruckt von den musikalischen Fähigkeiten des dortigen Pastors Jim Voelker. Der setzt sich im Chorraum seiner Kirche an die elektronische Orgel und begrüßt die Paderborner mit der deutschen Nationalhymne und Beethoven-Klängen. Vom Libori-Tusch hat Jim Voelker noch nie etwas gehört. Da zückt Manfred Müller sein Handy, und auf Tastendruck erklingen mehr als 8.000 Kilometer vom Paderborner Dom entfernt die markanten Libori-Trompeten. Der Pastor von St. Michael lauscht aufmerksam, greift in die Tasten – und spielt schon nach wenigen Augenblicken den im fernen Paderborn berühmten Tusch nach. Vielleicht hilft ihm dabei ein wenig das „Paderborn“-T-Shirt, das ihm zuvor Freundeskreis-Geschäftsführer Dr. Otmar Allendorf überreicht hat. Der Pastor von Paderborn, Illinois, hat es sogleich anprobiert.
Jim Voelker ist in der fruchtbaren Farm-Gegend Pastor einer Mini-Gemeinde, zu der nur wenige Häuser gehören. Aber zum Gottesdiensten am Sonntag kommen regelmäßig 300 Menschen. Und viele von ihnen nehmen schon eine Viertelstunde vor Beginn in den Bänken Platz. Weil sie wissen, dass ihr musikalischer Pastor vor jeder Sonntagsmesse ein kleines Konzert gibt. „Ich liebe gute Musik,“ sagt Jim Voelker. Die Fähigkeit, Noten zu lesen, sei bei ihm allerdings nur spärlich ausgeprägt. Er spielt nach Gehör. Schon als Zehnjähriger eiferte er damit seinem Vater nach.
Seit dem Frühjahr 2006 ist der 64-Jährige Pastor von Paderborn – als Teilzeit-Seelsorger. An drei Tagen der Woche arbeitet Voelker in seinem zweiten Beruf als Krankenpfleger in der Notfallaufnahme eines Krankenhauses in East St. Louis. 32 Jahre macht er das schon. Bevor er nach Little-Paderborn kam, war er 35 Jahre lang auch Seelsorger in East St. Louis, wo hauptsächlich Afro-Amerikaner leben. „Paderborn ist klein genug, um keinen Vollzeit-Priester zu brauchen“, lächelt Voelker. Seine kleine Gemeinde könne das Priester-Gehalt einsparen, denn das Geld, das er zum Lebensunterhalt benötige, verdiene er im Hospital.
Vielleicht war im kleinen Paderborn deshalb genug Geld vorhanden, um ein neues Pfarrzentrum bauen zu können. Stolz laden die Paderborner von St. Michael die ostwestfälischen Gäste zum selbst bereiteten Mittagsbuffet in den Saal ihres Neubaus ein. „Paderborn nach Paderborn“, ist mit dicken Lettern eine kleine Fotogalerie im Eingangsflur überschrieben. Dort hängen Bilder vom Paderborner Dom und Rathaus. Aber auch ein Foto der Kirche des Michaelsklosters haben die Gemeindemitglieder von St. Michael dort platziert. Ein Erinnerungsfoto der Buker Husaren, die vor Jahren einmal zu Gast im kleinen Paderborn waren, darf nicht fehlen. Draußen, an der Landstraße, informiert eine Willkommens-Tafel der 1843 von deutschen Einwanderern gegründeten St. Michaels-Gemeinde in englischer Sprache: „Unsere Schwestergemeinde ist Paderborn in Deutschland.“
Als der aus Langenberg im heutigen Kreis Gütersloh stammende westfälische Auswandererpriester Caspar Ostlangenberg (1810-1885) anno 1846 in Paderborn ein Taufregister eröffnete und ein Kirchenbuch anlegte, hieß die Siedlung noch Prairie du Long. Die Einweihung der St. Michels-Kirche erfolgte 1862. Ein Jahr zuvor hatte mit Wilhelm Busch der erste hauptamtliche Pfarrer der Gemeinde seinen Dienst angetreten. Er gab dem Ort den Namen Paderborn. Über diesen Reverend William Busch ist wenig bekannt. Laut Pfarrchronik kam er ,,von Furstenburg, Westfalien“ – und damit vermutlich aus dem heutigen Bad Wünnenberger Stadtteil Fürstenberg. Er war bis 1863 Pfarrer von Paderborn. Danach verliert sich seine Spur.
Die Besucher aus Paderborn versäumen nicht, den Friedhof der St. Michaels-Gemeinde zu besuchen. Die Paderbornerin Ingrid Votsmeier (72) hat ein Blumengebinde mitgebracht. Sie legt es auf der Grabplatte von Father Francis Weskamp nieder, der von 1938 bis 1943 als Pfarrer in Paderborn wirkte. Dieser Franz Weskamp war ein Onkel ihres 2006 im Alter von 78 Jahren gestorbenen Ehemannes Bruno Votsmeier. Weskamp wurde 1884 in Schmechten bei Brakel geboren. Er empfing 1916 in Innsbruck die Priesterweihe. Da er die lateinische Sprache nicht beherrschte, konnte er in seinem Heimatbistum Paderborn nur als Hilfsgeistlicher eingesetzt werden. Als solcher war er unter anderem in Neuenbeken tätig. 1925 wanderte Weskamp in die USA aus und wurde Priester im Bistum Belleville.
Eine alte Paderbornerin, weit über 80, spricht Ingrid Votsmeier an. Sie hat Father Weskamp noch gut in Erinnerung. „Er hat mich getraut und meine Kinder getauft.“ Ein ehemaliger Chronist von Paderborn hat schriftlich festgehalten, dass es Reverend Weskamp in den ersten Jahren des Zweiten Weltkrieges, seinen letzten Lebensjahren, gelungen sei, den Schulunterricht für die Kinder von Paderborn durch deutsche Ordensschwestern vom Kostbaren Blut zu sichern und den Namen seines Heimatbistums gegen antideutsche Stimmen, die eine Umbenennung Paderborns forderten, zu verteidigen. Der Blick auf den Grabstein offenbart sonderbare Zufälle: Dieser Franz Weskamp ist an einem 14. Oktober geboren und an einem 14. Oktober gestorben. Und der Tag, an dem die Besucher aus dem fernen Paderborn an seinem Grab stehen, ist – der 14. Oktober.
In der Paderborner Partnerstadt Belleville wird die Reisegruppe des Freundeskreises, die von Präsident Bernd Broer geleitet wird, nach einer Messe in der Kathedrale St. Peter von Bischof Edward K. Braxton (63) begrüßt, dem Oberhaupt der 104.000 Katholiken des Bistums Belleville. Von den 124 Pfarrgemeinden in den 28 Kreisen des südlichen Illinois, die zu seinem 1887 gegründeten Bistum gehören, haben noch 76 einen eigenen Pfarrer. Wie die Gemeinde St. Libory, die nach dem Paderborner Bistumspatron benannt ist.
Caspar Ostlangenberg war es, der 1838 im damaligen Oka, das später Mud Creek (Schlammbach) genannt wurde und 1874 den Namen St. Libory erhielt, die erste Messe feierte und 1839 das erste Gotteshaus, eine Blockhaus-Kirche, segnete.
Der frühere Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt hat 1989 bei einem Besuch in der 1883 eingeweihten heutigen Kirche von St. Libory eine feierliche Messe zelebriert und damit die Verbindung über den Atlantik unterstrichen. St. Libory, Illinois, das seitdem von einem Bund der Freundschaft zwischen der Mutterkirche des heiligen Liborius in Paderborn und der Schwesterkirche in den USA spricht, darf daher auf dem Reiseplan der Paderborner Gruppe nicht fehlen.
Das Plattdeutsch, das in den aus Westfalen stammenden Auswandererfamilien des Mittleren Westens über viele Jahrzehnte gepflegt wurde, stirbt allmählich aus. Der heutige Seelsorger von St. Libory, Dennis F. Voss, hält jedoch an einer Tradition fest. Zum Jahresfest des Kirchenpatrons trägt er im Gottesdienst ein altes Liborius-Gebet in deutscher Sprache vor.
Aus: Der Dom, Kirchenzeitung für das Erzbistum Paderborn, 62. Jahrgang, Nr. 49, vom 9. Dezember 2007. Anmerkung: In der gedruckten Fassung wurde Franz Weskamp versehentlich zum „Neffen“ von Bruno Votsmeier verjüngt – er war jedoch dessen Onkel. Der Fehler ist in dieser Internet-Fassung korrigiert. W.St.