Wenn es weihnachtet in der Partnerstadt

Belleville lockt mit dem zweiten Christkindlmarkt

Die größere deutsche Partnerstadt hat keins. Trotz ihres erheblich größeren Weihnachtsmarktes. Paderborns kleinere Sister-City Belleville in den USA aber hat eins: Ein Christkind. Sogar eins mit lockigem Haar. Obwohl diese Symbolfigur des deutschen Weihnachtsfestes im großen Santa-Claus-Land USA (noch) ziemlich unbekannt ist, hat es Belleville auch für den Auftakt seines zweiten Christkindlmarktes  geschafft, ein  Christkind aufzubieten. Es heißt Nicole Ojukwu Jackson, ist 18 Jahre jung und Schülerin der Abschlussklasse der Highschool Belleville East.

Auftritt im weiß-goldenen Kleid: Das Belleviller Christkind 2015, Nicole, Hauptperson bei der Eröffnung des Christkindlmarktes. Die 18-jährige Schülerin absolviert während des Marktes noch weitere Auftritte. Foto: Belleville Sister Cities (BSC).
Nicole ist nicht nur genau so jung wie Barbara Otto vom traditionsreichen Nürnberger Vorbild „Christkindlesmarkt“ – sie sprach zur Eröffnung des Christkindlmarktes in Belleville, allerdings in englischer Sprache, auch den Eröffnungsprolog ihres fränkischen Pendants. Und auch Nicoles weiß-goldenes Kleid ähnelt dem des Nürnberger Christkindls sehr.

Nürnberg schickt seit einigen Jahren stets sein Vorjahres-Christkind als Weihnachtsbotschafterin in die USA. Dort gibt es stattliche deutsche Weihnachtsmärkte in Philadelphia (Pennsylvania), Baltimore (Maryland) und Chicago (Illinois). Was diese Großstädte auf die Beine stellen können, das schaffen wir auch,  dachten sich Bellevilles Bürgermeister Mark Eckert und eine Gruppe eifriger Mitstreiter. Angesichts der deutschen Wurzeln vieler Amerika-Einwanderer vor allem des 19. Jahrhunderts, die in und um Belleville ansässig wurden, befanden sie, dass es an der Zeit sei, deutsche Advents- und Weihnachtstradition auch im Süden des Staates Illinois neu aufleben zu lassen. Zumal viele Militärangehörige der benachbarten Scott Air Force Base, die mit ihren Familien  eine Zeitlang in Deutschland stationiert waren, begeistert von deutschen Weihnachtsbräuchen schwärmen.

Vor einem Eingangstor zum Christkindlmarkt: Bürgermeister Mark Eckert und die Vorsitzende des Organisationskomitees des Marktes, Carol Piontkowsky.
Sie hat ein paar Jahre in Deutschland gelebt und empfindet das Belleviller Christkindlmarkt-Ambiente als sehr gelungen.
Die hölzernen Hütten, „Chalets“ genannt, ähneln denen des Paderborner Weihnachtsmarktes.
Mit 13 Weihnachtsmarkt-Ständen wurde im Jubiläumsjahr 2014 – „200 Jahre Stadt Belleville“ – der Anfang gemacht. Ein erfolgreiches Unterfangen. Der Christkindlmarkt Nummer zwei  im Jahr darauf konnte bereits erheblich ausgeweitet werden. Rund zwei Dutzend Stände locken 2015 an die Ostseite des Public Square, der großen Kreuzung in der Ortsmitte der Partnerstadt.

Manche der Belleville Christkindlmarkt-Stände könnten mit ihrem Warenangebot auch in Paderborn am Rathaus oder auf dem Domplatz stehen, zumal es sich um schmucke Holzhütten („Chalets“) handelt, die denen des Paderborner Weihnachtsmarktes sehr ähnlich sind.

Über dem Zeichen der Städtepartnerschaft Paderborn-Belleville am Stand von Belleville Sister Cities hängt ein schöner Adventskranz (Mitte). Links die Preistafel des BSC-Standes. Rechts das Christkindlmarkt-Angebot, das der „Roemer Topf“ bereit hält.

Die Auswahl  weihnachtlicher Artikel ist in Belleville nicht nur amerikanisch oder deutsch, sondern international. Sogar Anbieter aus Ägypten, Nepal, Afrika, Irland, Polen oder der Ukraine sind dabei. Nicht alle bleiben für die gesamte Adventszeit. Einige Händler haben Belleville nur für eine begrenzte Zeit gebucht. Sobald sie ihren Stand räumen, zieht ein neuer Anbieter ein. Das bringt Abwechslung ins weihnachtliche Warenangebot. Auch Nussknacker und Weihnachtspyramiden aus dem Erzgebirge fehlen nicht. Ebenso sind weihnachtliche Ornamente aus Israel zu haben.

Dieser Weihnachtsschmuck kommt aus der Ukraine. Auch hölzerne Weihnachtsmänner, Holzspielzeug oder beleuchtbare Mini-Fachwerkhäuser gehören zum Angebot von Andrey Shaptala aus aus Charkow.

„Man muss schon in die Windy City fahren, um einen Markt wie diesen zu erleben“, schwärmte Dana Dean, Reporterin des TV-Senders KSDK aus St. Louis nach ihrem Besuch des Belleviller Christkindlmarktes in einem Fernsehbericht. Die Windy City – das ist die am Michigansee gelegene Illinois-Metropole Chicago. Mit der Größe des dortigen, mehrere hundert Meilen entfernten  Christkindlmarktes, der rund um die große Picasso-Skulptur in der Chicagoer Innenstadt aufgebaut ist, kann es Belleville zwar nicht aufnehmen. Aber klein und fein kann ja auch eine Alternative sein. Und in punkto „Gemutlichkeit“ kann die Kreisstadt von St. Clair County, die ziemlich stolz auf ihr deutsches Kulturerbe ist, ohnehin mithalten.

Made in Belleville: Köstlicher Fudge aus Karamell und Schokolade. Mary Graham Stiehl bietet verschiedene Variationen des süßen Konfektes an. Und verspricht, dass Weihnachtskalorien
nicht zählen…

Von seinem Büro in der Stadtverwaltung hat es Belleville’s Bürgermeister Mark Eckert nicht weit. Es sind nur ein paar Schritte zum Public Square. Jeden Tag schaut er am Christkindl-Markt vorbei. Der Markt soll auch der schön herausgeputzten Belleviller Innenstadt mit ihrer Hauptgeschäftsstraße East-Main-Street zu weiterer Anziehungskraft verhelfen. Was gelingt. „Ich bin hier der Bürgermeister.  Verraten Sie mir, von wo sie angereist sind?“, erkundigt sich Mark Eckert neugierig unter Besuchern, die ihm unbekannt sind, und sie antworten bereitwillig. Nennen Namen von Orten, die zum Teil 30 oder 40 Meilen entfernt von Belleville irgendwo in Illinois oder im Nachbar-Bundesstaat Missouri liegen. Eckert hört’s gern. Die Werbung und auch die Mund-zu-Mund-Propaganda für den Belleviller Christkindlmarkt haben gezündet.

„Plauener Spitze“ aus Germany: Elke Abate, die aus Atlanta (Georgia) angereist ist, vertreibt den Tischschmuck aus Sachsen in den USA. Dort lebt sie seit 52 Jahren. Sie stammt aus Oberhausen.

Einen solchen Weihnachtsmarkt  gibt es in der Metro-East-Region rund um St. Louis weit und breit nicht. Der  Chicagoer Weihnachtsmarkt liegt fünf Autostunden entfernt. Das 46.000 Einwohner zählende Belleville nennt sich gern die Hauptstadt des südlichen Illinois. Nicht zu Unrecht, wie die Besucherresonanz am Public Square zeigt. Vor allem an den Adventswochenenden.

Auch in den USA gefragt: Bunzlauer Keramik aus Polen. Der niederschlesische Töpferort heißt heute Boleslawiec.

Einer der größten Stände des Christkindlmarktes wird von Belleville Sister Cities (BSC), der Partnerorganisation des Deutsch-Amerikanischen Freundeskreises, betrieben. Für den Personaleinsatz am Stand des – wie in Paderborn – bis zum 23. Dezember dauernden Marktes  wurde ein  genauer Dienstplan ausgetüftelt. Mindestens zwei BSC-Mitglieder sind täglich im Einsatz, um Getränke, Waffeln und Brezeln anzubieten. An den Wochenenden wird verstärkt.

Ein Pferdegespann zieht einen Besuchertrolley über den Public Square, vorbei am Weihnachtsmarkt, in die Einkaufsstraße East-Main-Street. Der Brunnen in der Platzmitte hat Winterpause. Hier steht ein imposanter Weihnachtsbaum. Auch die weihnachtlichen Figurengruppen, die ihn umgeben – darunter eine Krippendarstellung – ziehen die Blicke an. Für Besucher sind die „Trolley-Rides“ kostenlos.

Der nach deutschem Rezept hergestellte Glühwein, würzig und nicht zu süß,  findet regen Absatz. Der Becher kostet 4 Dollar. Wer eine Tasse mit dem Belleviller Weihnachtsmarktlogo (6 Dollar) dazu erwirbt, ist mit 3 Dollar für den Glühwein, der hier nur „Gluhwein“ oder „Hot spiced wine“ genannt wird, dabei. Auch das Nachfüllen kostet 3 Dollar.  Aber zu einem deutschen Weihnachtsmarkt gehören auch Biere aus Germany, vor allem Gerstensaft aus München.

Am Stand der Stadt Belleville bieten Lynda Bohanon (links) und Sharon Strausbaugh (rechts)  Tickets für die Verlosung dieses im Blockhaus-Stil gefertigten Quilts an.  Der Erlös der Aktion wird dreigeteilt: Er fließt in die Restaurierung des vom Frankfurter Amerikaauswanderer Gustav Körner erbauten Belleviller Hauses, das ein Museum werden soll, an das Heritage-Commmitee, das den Belleviller Rat in Denkmalfragen berät,  und in die Realisierung des „September 11 Memorial Walkway of Southern Illinois“, der zum 15. Jahrestag der Terroranschläge auf die USA bis zum Herbst nächsten Jahres am Verwaltungsgebäude der Belleviller Feuerwehr geschaffen werden soll.

Wer eine größere  Speisenauswahl wünscht, ist gegenüber am Stand vom „Roemer Topf“, einem deutschen Restaurant in Belleville’s Nachbarort Mascoutah, an der richtigen Adresse. Hier gibt’s Bratwurst Nürnberger oder Augsburger Art, Gulaschsuppe, Schnitzel, Potatoe Pancakes (Kartoffelpuffer), Bread Dumpling (Semmelknödel) und Bread Pudding (Brotpudding, in Deutschland in diversen Variationen auch als „Armer Ritter“, „Serviettenkloß“ oder „Scheiterhaufen“ bekannt).

Besucher mit Vorlieben für Kuchen und Gebäck schauen nebenan am Stand von „Oma Gisi’s German Bakery“ vorbei, der von drei Generationen einer deutschstämmigen Bäckerfamilie aus Kinmundy (Illinois) täglich mit frischen Produkten versorgt wird. Hier gibt es auch „Dresdner Christ Stollen“ (16 Dollar) und Pfeffernüsse („Spiced cookies“, 5,50 Dollar).

Auftritt im Christkindlmarkt-Veranstaltungszelt: Andy Gaa (vorn) und seine singenden Deutsch-Schüler der Highschool Belleville-East. Foto: Belleville Sister Cities (BSC)

Auf deutsche Traditionen setzt auch das Kulturprogramm des Christkindlmarktes. Im beheizbaren Veranstaltungszelt demonstrieren  die „Belleville Holzschnitzer“ ihr Können. Drinnen oder draußen treten Singgemeinschaften, darunter der „Schonstadt Sangerbund“, Musikgruppen wie die „Edelweiss Band“, Tanzformationen wie die urbayrisch angehauchten „Schuhplattler Dancers“ oder ein besonderer Belleviller Schülerchor auf: 20 Deutsch-Schüler von Andy Gaa, Lehrer an der Highschool Belleville-East und aktives BSC-Vorstandsmitglied, singen, begleitet vom Belleviller Akkordeonisten Mardy Eisloeffel, deutsche und österreichische Weihnachtslieder oder bekannte amerikanische „Songs of Christmas,“ die ins Deutsche übersetzt  sind. Im Zelt am Public Square gab es beim ersten Auftritt ein „volles Haus“.  Und tollen Applaus.

Schnee ist in diesem Winter bislang Mangelware im Mittleren Westen: Aber auf dem Haus von Santa Claus darf die weiße Pracht natürlich nicht fehlen.

Gleich nebenan vom Christkindl-Markt steht am Public Square  „Santa’s House“, seit vielen Jahren ein Angebot des Belleviller „Exchange Clubs“. Drinnen ist fast täglich der rotgewandete, bärtige und stets freundliche Santa Claus anzutreffen. Er ist der Inbegiff des amerikanischen Geschenkebringers und stellt das Christkind, was dessen Bekanntheit in den USA angeht, weit in den Schatten. In „Santa’s House“, vor dem sich nicht selten Besucherschlangen bilden, können Kinder schriftlich oder mündlich ihre Weihnachtswünsche los werden oder für  ein – in US-Familien äußerst beliebtes – Foto mit Santa in die Kamera lächeln. Ein Formular für die „wish list“,  das auf der Internetseite des Belleviller Christkindlmarktes herunter geladen werden kann, ist mit dem Wort  „Wunschzettel“ überschrieben.

Beliebte Erinnerung an die Weihnachtszeit 2015: Der Besuch bei „Santa Claus“. Für dieses Fotomotiv nehmen Familien auch eine längere Warteschlange draußen vor „Santa’s House“ am Public Square in Kauf.

Draußen gibt’s Tierisches zu bestaunen. Was in der Partnerstadt Paderborn die „Lebendige Krippe“ ist, sind hier zwei Rentiere in einem kleinen Gehege,. Sie sind an den Adventswochenenden ein Besuchermagnet vor allem für Familien mit Kindern. Hier, am Public Square, können die Rentiere vor der stressigsten Nacht des Jahres noch ein wenig verschnaufen. In der Weihnachtsnacht  wird Santa Claus die beiden und – je nach Entfernung und Wetterlage – sechs bis zehn weitere Rentiere  anspannen, um mit seinem wie immer überladenen Geschenkeschlitten  sogar in die Luft zu gehen. Das jedenfalls schildern amerikanische Weihnachtserzählungen. Denn die Entfernungen zu den Kindern, die sehnsüchtig die jährliche Geschenk-Lieferung von Santa Claus warten, sind riesig. Und müssen in einer einzigen Nacht bewältigt werden.  Ganz vorn im Rentier-Rudel wird auch diesmal wieder ein berühmter Vierbeiner schnaufen. Andy Gaa’s Schülerchor stellte ihn im Zelt des Christkindlmarktes in einem Lied vor: „Rudolf mit dem roten Näschen.“

Wochenend-Attraktion: Das Gehege mit den beiden Rentieren. Das linke hat kurz vor seinem Auftritt in Belleville sein Geweih abgeworfen. Trotz der nun fehlenden „Schneeschaufeln“:  Santa Claus wird bestimmt auch dieses Rentier vor seinen Schlitten spannen. Im Hintergrund rechts „Santa’s House“. 

Als Werbefigur von Coca Cola erlangte der alte Rauschebartträger Santa Claus in den 1930er Jahren seine große Popularität in den USA. Aber Santa  ist keine Erfindung des Getränkekonzerns. Auswanderer aus den Niederlanden brachten den „Sinter Klaas“ bereits im 18. Jahrhundert nach Amerika. Schriftsteller des 19. Jahrhunderts dichteten ihm die Fähigkeit an, zu Weihnachten mit einer fliegenden Rentierschar und einem nicht minder flugtauglichen Geschenke-Schlitten unterwegs zu sein. „Rudolph the red-nosed Reindeer“, das berühmteste aller Rentiere, erblickte erst Jahrzehnte später, anno 1939, zunächst in Gedichtform, später als Christmas-Song – das Licht der amerikanischen Winter- und Weihnachtswelt. Text und 15 Fotos: Wolfgang Stüken