Partnerstadt hat ganz große Pläne
Die neue Polizeistation an der West Main Street soll zur Jahresmitte 2016 eingeweiht werden. Unmittelbar danach wird eine umfangreiche, behindertengerechte Renovierung des Rathauses, der City Hall, an der South Illinois Street beginnen. Mark Eckert, der Belleviller Bürgermeister (Foto), geht mit großen städtischen Planungen in das Jahr 2016. In den Schatten gestellt werden diese kommunalen Vorhaben allerdings durch ein Großprojekt privater Investoren am westlichen Stadtrand Belleville’s. Kein Zweifel: Diese Investition vieler Millionen Dollar am Highway 15 wird die Attraktivität der Partnerstadt, die sich selbst stolz Hauptstadt des südlichen Illinois nennt, ganz erheblich steigern. Über mehrere Jahre wurden Pläne geschmiedet, Verhandlungen mit Partnern geführt und Finanzierungen durchdacht. Jetzt wird gebaut.
In Belleville steht (schon bald) ein Hofbräuhaus
„Oans, zwoa, g’suffa!“ Das rund um den Globus gesungene Trinklied aus Bavaria’s Hauptstadt – es wird in Paderborns Partnerstadt in Zukunft nicht mehr nur zu Oktoberfest-Zeiten zu hören sein, sondern kann das ganze Jahr über angestimmt werden. Belleville bekommt ein Hofbräuhaus! Es ist das achte Hofbräuhaus nach Münchener Vorbild in den USA und soll voraussichtlich im Spätsommer 2016 eröffnet werden. Da dieses Riesenwirtshaus Besucher aus der gesamten Region rund um die benachbarte Großstadt St. Louis (Missouri) anziehen soll, wird es Hofbräuhaus St. Louis-Belleville heißen.
Ob der Name St. Louis in größeren Lettern und Belleville etwas kleiner geschrieben wird, wie ein Entwurf zeigt, ist noch nicht ganz ausdiskutiert. Hundertprozentig fest steht dagegen, dass auf jeden Fall die 46.000 Einwohner zählende Kreisstadt Belleville der Standort des Biertempels sein wird. Das Baugelände ist bereits modelliert und planiert. Betonmischer sind schon im Dezember 2015 angerückt, um die ersten Fundamente zu gießen.
Am US-Highway 15, eine Viertel Autostunde von der Innenstadt von St. Louis und knapp zehn Minuten vom Stadtzentrum von Belleville entfernt, wird das Gebäude im Stil des berühmtesten Wirtshauses der Welt errichtet. 1000 Besucher sollen Platz finden – 500 in der großen Bierhalle (Schwemme) und je 250 im kleinen Saal („King-Ludwig-Room“) und draußen im Biergarten.
Das Hofbräuhaus kommt keineswegs allein. Gleich neben dem urbayrisch angehauchten Gebäude entstehen ein modernes Tagungszentrum („Convention Center“) mit mehr als 4000 Quadratmetern Nutzfläche und bis zu vier Hotels. Eine noble 150-Betten-Herberge (vermutlich ein „Marriott“) soll noch 2016 den Anfang machen. Auch das „Convention Center“ soll bis Ende 2016 betriebsbereit sein. Dieses Zentrum soll eine neue Adresse für Kongresse, Tagungen, Hochzeiten und andere große Familienfeiern, Ausstellungen und Messen für die gesamte Metroeast-Region werden. Zu dieser Region gehören St. Louis (Missouri) und Belleville (Illinois) sowie das Umland – eine Ballungsregion, in der rund 2,7 Millionen Amerikaner leben.
Mehrere Restaurants und Läden sollen in Nachbarschaft des Belleviller Hofbräuhauses angesiedelt werden. Damit immer noch nicht genug: In direkter Nachbarschaft zu dem Gebäudekomplex will „Game on Sports Development“, ein Unternehmen aus Kansas-City im Bundesstaat Kansas, einen vielseitig nutzbaren Sportkomplex mit Clubhaus realisieren. Dieser wird über nicht weniger als 11 Fußballfelder (Soccer) und 18 Beachvolleyball-Felder verfügen und soll für lokale, regionale, nationale und internationale Wettbewerbe genutzt werden. Auch die Herzen von Rugby- und und Lacrosse-Freunden sollen hier höher schlagen. Viele, vermutlich vor allem junge Sportler, können hier – vielleicht schon ab September 2016 – aktiv werden. (Nebenbei: In Belleville’s deutscher Partnerstadt wurde 2013 von Sportstudenten für Lacrosse, die in Kanada beheimatete angeblich „schnellste Sportart auf zwei Beinen“, der Verein Paderborn Hornetts Lacrosse e.V. gegründet.)
Sowohl St. Louis (320.000 Einwohner) als auch das allmählich auf die Marke 50.000 zusteuernde Belleville, beides Universitätsstädte, können auf ein reiches deutsches Kulturerbe verweisen. Immigranten brachten viele Facetten deutscher Kultur im 19. Jahrhundert mit in die neue Heimat USA. Diese deutschen Wurzeln sind bis heute unverkennbar. Und beide Städte sind Orte mit einer langen Tradition im Bierbrauen. Deutsche Partnerstadt von St. Louis ist seit 55 Jahren Stuttgart. Belleville ist seit 25 Jahren mit Paderborn liiert.
Belleville’s Bürgermeister Mark Eckert spricht für das Gesamtvorhaben an der Illinois Route 15 von einem Investitionsvolumen „von mehr als 100 Millionen US-Dollar“. Der größte Teil soll bis Ende 2017 verbaut sein. Der Belleviller Rat hat für das riesige Projekt eine Sonderbauzone ausgewiesen und für die Bau- und Anlaufphase besondere, vom Staat Illinois als Ausnahmeregelung akzeptierte Steuervergünstigungen beschlossen. Später einmal soll das Hofbräuhaus-Projekt eine Menge Steuergeld in die Stadtkasse spülen. „350 neue Jobs“ werden nach Eckert’s Schätzung hier geschaffen.
Hauptinvestor des Projektes ist die Firma Keller Enterprises aus Effingham (Illinois), die viel Erfahrung sowohl in der Hotel- und Gastronomie-Szene als auch Knowhow im Betrieb von „Convention-Centern“ besitzt. Eines der neuen Hotels in Hofbräuhaus-Nachbarschaft soll ein sechsstöckiges „Hyatt“ mit 130 Zimmern werden.
Als Chef des Hofbräuhauses St. Louis-Belleville mit dem Titel „President“ fungiert Chane Keller – nicht verwandt oder verschwägert mit den Investoren gleichen Namens aus Effingham. „Es gibt nichts Vergleichbares in der Gegend von St. Louis“, gibt er sich absolut zuversichtlich, seinen Gästen künftig mit dem Hofbräuhaus „etwas Einzigartiges“ bieten zu können.
Die Firma Keller Enterprises fungiert für das Hofbräuhaus als Franchisenehmer der 2005 gegründeten Hofbräuhaus of America LLC, an der das Münchener Stammhaus die Anteilsmehrheit hält. Das erste US-Hofbräuhaus entstand 2003 in Newport, Kentucky. Es folgte – neben dem dortigen Hard Rock-Café – 2004 das Hofbräuhaus Nummer zwei in Las Vegas (Nevada). Seit 2009 löscht ein Hofbräuhaus den Durst von Liebhabern deutschen Bieres in Pittsburgh, Pennsylvania. Vier Jahre später folgte das bis heute größte Hofbräuhaus auf amerikanischem Boden im Chicagoer Stadtbezirk Rosemont unweit des Airports O’Hare, der zu den verkehrsreichsten Flughäfen der Welt gehört. Das Hofbräuhaus St. Louis-Belleville soll das Chicagoer Brauhaus flächenmäßig noch überflügeln und damit das bislang größte in den USA werden. Weitere Hofbräuhäuser gibt es in Cleveland und Columbus (beide Ohio, beide seit 2014) und St. Petersburg in Florida (2015).
Amerikanische Hofbräuhaus-Niederlassungen haben die Wahl: Sie können entweder fix und fertig gebrautes Bier direkt aus München beziehen oder einen Braumeister aus München anstellen, der nach zum Teil 400 Jahre alter Rezeptur das Münchener Hofbräu vor Ort herstellt – natürlich nach deutschem Reinheitsgebot. 2016, im Eröffnungsjahr des Belleviller Hofbräuhauses, kann übrigens das 500-jährige Jubiläum dieses Biergesetzes gefeiert werden.
Das Hofbräuhaus in Belleville, so ist zu hören, könnte der Arbeitsplatz einer charmanten Braumeisterin werden. Auch in Belleville sollen vier Hofbräu-Biere – sozusagen unter den Augen des Publikums – gebraut werden: Original Hofbräu (Lager), Hofbräu Dunkel, Hofbräu Hefeweizen, ferner ein Hofbräu Light. Hinzu kommen saisonale Spezialitäten. Diese sollen zum Teil direkt aus dem Münchener Hofbräuhaus importiert werden. In Belleville wird – wie in München – in Literkrügen ausgeschenkt, aber auch in Halbliterkrügen und 300-Milliliter-Gläsern. Die Bedienung wird traditionelle bayrische Tracht tragen, die Speisekarte wird zu „Pretzeln“, Schweinebraten, Leberkäse und natürlich Weißwurst einladen. Auch die bayrische Biergarten-Spezialität „Obatzter“, ein Käsegericht, wird nicht fehlen. Und auch das Musikprogramm wird vorwiegend die Farbe bayrisch tragen: „Oans, zwoa, g’suffa!“ Gastkapellen aus Bayern und Österreich sollen in Belleville aufspielen. Vielleicht sitzt auch einmal ein Gastspiel-Auftritt von Paderborner Musikern drin, denen Lederhose und Dirndl vertraut sind.
Ein wichtiger Vertragspartner des großen Belleviller Hofbräuhaus-Vorhabens hat genau gegenüber an der Illinois Route 15 seinen Sitz: Es ist der weltweit tätige katholische Orden „Oblates of Mary Immaculate“ (Ordenskürzel: OMI), in Deutschland als Oblaten der Unbefleckten Jungfrau Maria oder auch als Hünfelder Oblaten bekannt. Der Orden hat seit den 1920er Jahren eine Niederlassung in Belleville. Seit Ende der 1950er Jahre hat er auf ehemaligem Farmland die große Marien-Wallfahrtsstätte ,,National Shrine of our Lady of the Snows“ auf- und ausgebaut. Diese verzeichnet jährlich mehr als eine Million Besucher aus den gesamten USA. Die Belleviller Oblaten besitzen direkt gegenüber ihrer Wallfahrtsstätte, auf der anderen Seite des Highways, ein mehr als 30 Hektar großes Erweiterungsgelände. Das wird nun per Erbaurechtsvertrag zur Ansiedlung des Hofbräuhaus-Komplexes genutzt. Die Pachteinnahmen aus diesem Vertrag sollen nach den Worten von Bürgermeister Eckert auch helfen, die finanzielle Zukunft der Wallfahrtsstätte zu sichern. Der Oblatenorden ist durch sein Unternehmen Missionary Ventures LLC am Projekt Hofbräuhaus beteiligt. Dem Orden gehören weltweit rund 4000 Patres und Brüder in 67 Ländern an. Er will das neu entstehende „Convention Center“ auch selbst für interne nationale und internationale Tagungen nutzen.
Zahlreiche Biermarken und Brauhaus-Namen in Deutschland belegen: Es gibt Jahrhunderte alte Verbindungen zwischen kirchlichen Ordensgemeinschaften und der Herstellung von Bier. Auch beim Münchener Hofbräuhaus? Nicht auf den ersten Blick. Doch die Geschichte verrät: Als Bayern-Herzog Wilhelm V. anno 1589 das Hofbräuhaus gründete, warb er kurzerhand den Braumeister des reichen oberbayrischen Benediktinerinnenklosters Geisenfeld, Heimeran Pongraz, als Bauherrn und ersten Braumeister ab. Na also. Die Belleviller Oblaten können folglich eine alte Biertradition neu beleben.
Zu den Vätern des Wallfahrtsortes „Lady of the Snows“ zählt der aus Magdeburg stammende Oblatenmissionar Paul Schulte (1895-1974), der als „Fliegender Pater“ berühmt wurde. Als er ab 1936 mit seinem Flugzeug zu den Eskimos in der sogenannten „Eismission“ im hohen Norden Kanadas unterwegs war, wurde er bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Kanada plötzlich der Spionage für Hitler-Deutschland bezichtigt. Er zog sich enttäuscht in die USA zurück, wo er angesichts des aus Kanada gemeldeten Verdachts nun ins Visier des Inlandsgeheimdienstes des FBI geriet. Dieser vereinbarte schließlich mit seiner Ordensleitung, Schulte bis zum Kriegsende in einem Kloster der USA zu internieren – so verschlug es den „Fliegenden Pater“ eher unfreiwillig nach Belleville. Dorthin brachte der „Fliegende Pater“ das Gemälde eines befreundeten Künstlers mit, das – in Anlehnung an eine alte römische Legende von „Maria im Schnee“ – eine Marienerscheinung über dem Eis der Arktis darstellte. Aus der Verehrung dieses in einer Kapelle ausgestellten Bildes durch eine stetig wachsende Zahl von Gläubigen entwickelte sich in den 1950er Jahren der Wallfahrtsort.
Als Paul Schulte 1949 nach Deutschland zurückkehren durfte, fand er in Paderborn eine neue Aufgabe. Die von ihm 1927 gegründete Mission-Verkehrs-Arbeitsgemeinschaft (MIVA), die sich zum Ziel gesetzt hatte, Missionare mit modernen Verkehrsmitteln auszustatten, wurde mit neuer Zielsetzung dem am Kamp ansässigen Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken eingegliedert. Schulte übernahm die Leitung der neu gegründeten Diaspora-MIVA und beschaffte mit großem Einsatz Fahrzeuge zur seelsorgerischen Betreuung katholischer Minderheiten in der Diaspora, vor allem in der DDR.
Das Fliegen blieb bis zu seinem Lebensende in Afrika die große Leidenschaft Pater Schultes. Vielleicht können sich die Belleviller Oblaten dafür stark machen, ihm ein besonderes „Fliegerbier“ aus der neuen Braustätte zu widmen. Einen Konferenzraum, der den Namen „Schulte“ trägt, haben sie bereits.
Roger Schlueter, der für fast alle Lebensfragen zuständige „Answer Man“ der Tageszeitung „Belleville News Democrat“, hat inzwischen begonnen, seinen Lesern eine halbwegs richtige Aussprache des Hofbräuhaus-Umlautes „ä“ nahezubringen. Seine ausgiebigen Erläuterungen schließen mit dieser Empfehlung: „Hofe-broy-haus.“ Und einem international geläufigen, umlautfreien „Prost“.